Kernbotschaft: Die Lehrperson kann sich selbst ermächtigen
Wenn Kinder stark reagieren, antworten wir intuitiv mit eigener Intensität – Sorge, Aufregung, dem Wunsch zu beruhigen. Das ist normal und verständlich. Gleichzeitig verstärkt diese natürliche Reaktion oft genau die Dynamik, die wir beruhigen wollen.
Der Wendepunkt: Wenn wir es schaffen, auch in der eigenen Anspannung das zu sehen, was gerade gut und richtig ist – beim Kind und bei uns – können wir zugewandt reagieren. Diese innere Verschiebung durchbricht die Spirale und beide Nervensysteme beruhigen sich. Erkennbar wird das durch ein Lächeln.
Erklärung für Fachpersonen
Wenn Kinder intensiv reagieren, läuft zunächst ein automatischer Bewertungsprozess ab: Das Nervensystem prüft blitzschnell, ob die Situation sicher oder bedrohlich ist (Neuroception). Starke kindliche Emotionen aktivieren oft die eigenen Alarmsysteme – die Intensität wird als Signal für Gefahr oder Kontrollverlust interpretiert.
Diese Bewertung löst eine neurobiologische Stressantwort aus: Sympathikus-Aktivierung, erhöhte Amygdala-Reaktion, Fokussierung auf Problemlösung. Das Kind spürt diese Intensität über Mimik, Stimme und Körperhaltung und interpretiert sie als Bestätigung der eigenen Aufregung – ein sich verstärkender transaktionaler Kreislauf entsteht.
Der Wendepunkt liegt in der kognitiven Neubewertung (cognitive reappraisal): Die bewusste Anstrengung, auch unter Stress die Situation ressourcenorientiert zu betrachten – „Was zeigt das Kind gerade Positives?“ oder „Was braucht es wirklich?“ – kann die neurologische Aktivierung verschieben. Diese Perspektivverschiebung arbeitet gegen die automatische Stressreaktion und erfordert mentale Kraft. Gelingt sie, übernimmt der präfrontale Cortex wieder die Regulation, Vagusnerv-Aktivierung ermöglicht Ruhe, und authentische Zugewandtheit entsteht. Hier liegt die zentrale Gestaltungsmöglichkeit der Erwachsenen – nicht in der perfekten Reaktion, sondern in der bewussten Wahl der Wahrnehmung.
Diese veränderte Haltung signalisiert dem kindlichen Nervensystem Sicherheit. Spiegelneuronen übertragen die Beruhigung, Ko-Regulation setzt ein, und positive Feedback-Loops entstehen. Das System reguliert sich beidseitig nach unten – erkennbar oft an einem spontanen, echten Lächeln. Entscheidend: Das Lächeln entsteht als natürliche Folge der Perspektivverschiebung, nicht als Technik. Ohne die innere Haltungsänderung bleibt auch das freundlichste Lächeln neurologisch wirkungslos – Kinder spüren sofort, ob echte Zuwendung oder nur Mimik dahintersteckt.
Bedeutung für die Praxis
Symptombekämpfungen funktionieren langfristig nie. Modelle, wie die Neue Autorität oder Gewaltfreie Kommunikation sind ideale Anlässe für gemeinsame Entwicklungen im Team. Es ist jedoch hilfreich, sie als das anzusehen, was sie sind: didaktische Hilfen zur eigenen Ruhe und Stabilität. Diese führt dazu, dass Kinder sich gesehen fühlen. Und nur dies führt zu einer resonanten, erfüllenden, ungestörten, gemeinsamen Lernatmosphäre im Klassenzimmer.
In dieser unglaublich schönen Ressource erklärt Hartmut Rosa die Soziologischen Aspekte dieser Thematik: Wie kann die Schule ein Resonanzraum werden?